Pausentate Close Up: Simon Büngener
In diesem Teil der Reihe Close Up sprechen wir mit dem ehemaligen Young Carer Simon Büngener.
Möchtest Du Dich kurz vorstellen?
Ich heiße Simon, bin 30 Jahre alt und komme gebürtig aus Meschede, lebe aber nun in Leverkusen. Nach der Schule habe ich eine Ausbildung zum Erzieher gemacht und anschließend Sozial- und Gesundheitsmanagement studiert. Neben meiner Ausbildung habe ich über einen längeren Zeitraum meinen Vater gepflegt, was eine prägende Zeit in meinem Leben war.
Du hast gesagt, dass Du deinen Vater gepflegt hast. Wie kam es dazu?
Er hatte einen schweren Fahrradunfall auf dem Weg zur Arbeit, der dazu führte, dass er seitdem ab dem Hals abwärts inkomplett querschnittsgelähmt ist.
Was waren die größten Herausforderungen in der Zeit, in der Du die Pflegeverantwortung übernommen hattest?
Als junger pflegender Angehöriger wurde ich zuerst mit der mentalen Herausforderung konfrontiert, nun eine Rolle der Fürsorge und Pflege für meinen Vater einzunehmen, die er zuvor für mich hatte. Mir fehlte auch die elterliche Unterstützung, im Besonderen die emotionale Fürsorge, um das Geschehene verarbeiten zu können. Es war sehr hart davon Abschied zu nehmen, dass ich den Vater, den ich einst kannte, verloren hatte.
Innerhalb der täglichen Pflege war es eine große psychische Belastung, ihn im Alltag zu unterstützen, weil ich wusste, dass er viele Dinge früher selbst machen konnte. Wenn ich ihm zum Beispiel ein Glas reichte oder ihn fütterte, wurde mir immer wieder bewusst, wie viel Selbstständigkeit er verloren hatte. Oft dachte ich darüber nach, wie es ihm in dieser Situation gehen musste, was es für mich noch schwerer machte.
Ich fühlte mich auch immer schlecht, wenn ich Spaß hatte, zum Beispiel bei Freunden oder beim Sport, weil ich wusste, dass er an sein Bett gebunden ist und nie wieder wirklich selbst entscheiden konnte, was er wann tun möchte.
Wie hast Du das alles geschafft? Hattest Du manchmal noch Zeit für Freundinnen sowie Freunde und für Dich selbst?
Ich würde nicht von schaffen sprechen. Ich war gefühlt nie fertig und hatte stets das Gefühl, nicht genug für meinen Vater oder meine Familie getan zu haben. Besonders schwierig war es, weil in meiner Familie immer erwartet wurde, dass man 200 Prozent gibt. Das war neben den Herausforderungen des Erwachsenwerdens einfach nicht zu schaffen.
Trotzdem hatte ich Zeit für Freunde, wobei ich diese oft in meine Aufgaben einbezogen habe – zum Beispiel halfen sie mir bei Erledigungen oder Hausarbeiten.
An welchen Stellen hast Du Dir Hilfe gesucht?
Leider habe ich mir viel zu spät – mit 26 Jahren – psychologische Hilfe gesucht. Erst dann konnte ich die Zeit nach dem Unfall meines Vaters und die damit verbundenen Veränderungen für mich verarbeiten. In meiner Familie war das Thema „Hilfe annehmen“ ein Tabu, besonders, wenn es um emotionale Unterstützung ging. Es gab einen starken Druck, den Schein zu wahren, dass wir mit allem alleine klarkommen. Das hat es für mich schwer gemacht, frühzeitig Hilfe zu suchen.
Welche Tipps würdest Du jungen Pflegenden mit auf den Weg geben?
Der wichtigste Tipp, den ich jungen pflegenden Angehörigen mitgeben möchte, ist:
Das gilt ebenso für diejenigen, die nicht ihre Eltern, sondern beispielsweise ihre Großeltern pflegen. Auch hier sind eure Eltern dafür verantwortlich, die Pflege so zu gestalten, dass sie für euch in einem angemessenen Rahmen bleibt.
Wenn ein Elternteil pflegebedürftig ist, kann es passieren, dass seine gesundheitlichen Probleme ihn so stark beschäftigen, dass er den Fokus von euch als Kindern verliert und eure emotionalen oder körperlichen Grenzen überschreitet. In solchen Momenten ist es wichtig, dass ihr für euch selbst einsteht. Ihr dürft klar formulieren, welche Bedingungen für euch tragbar sind und wie ihr die Pflege fortführen könnt, ohne dabei selbst zu sehr belastet zu werden.
Wenn ihr unter der Pflege leidet und das Gefühl habt, dass dies von euren Eltern nicht gehört wird, ist es völlig in Ordnung, euch Unterstützung zu suchen – sei es bei anderen Verwandten, Freundinnen und Freunden, Lehrerinnen und Lehrer oder bei professionellen Hilfsangeboten. Das ist kein Verrat an euren Eltern, sondern ein wichtiger Schritt, um euer eigenes Wohlbefinden zu schützen. Denn nur, wenn ihr selbst körperlich und psychisch gesund seid, könnt ihr langfristig für den zu pflegenden Angehörigen da sein.
Bildrechte: ©Simon Büngener