Ob widersprüchliche Gefühle, körperliche Anspannung oder Angst vor dem Ungewissen: Wenn junge Menschen trauern, kann ihre Trauer viele Gesichter annehmen. Wie jeder individuell mit dieser Situation umgehen kann, und was wir als Freundin oder Freund einer trauernden Person tun können, darüber sprach die Pausentaste mit Petra Brenner. Sie leitet das LÖWENZAHN Zentrum für trauernde Kinder und Jugendliche e.V. in Hannover.
Pausentaste: Wenn wir an Trauer denken, haben wir oft das Bild einer weinenden Person vor Augen. Wie drückt sich der Verlust eines Menschen noch aus?
Petra Brenner: Trauer hat ganz unterschiedliche Gesichter. Wenn zum Beispiel meine Mutter stirbt, habe ich natürlich erstmal viele Gedanken im Kopf. Ich kann mich in der Schule nicht so gut konzentrieren, ich fühle mich niedergeschlagen. Manchmal kommt die Trauer über den Verlust aber auch erst Jahre später. Vielleicht musste ich in der Situation nach dem Tod stark sein. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn plötzlich nur noch ein Elternteil da ist und Geld verdienen muss. Trauer kann sich aber auch in Wut oder Angst ausdrücken. Den einen Weg zu trauern, gibt es nicht.
Dann gibt es wohl auch nicht den einen Weg, Trauer zu bewältigen.
So ist es. Trauer ist so individuell wie wir Menschen selbst. Was jedoch oft gleich ist: Trauernde Kinder und Jugendliche fühlen sich zum Teil wie Aliens. Typische Gedanken können dann zum Beispiel sein: Nach außen sehe ich normal aus, aber in mir gibt es ganz viele widersprüchliche Gefühle. Ich vermisse die Person, habe in meinem Alltag Herzrasen oder Flashbacks bei schmerzhaften Erinnerungen. Und weil es den Personen um mich herum nicht so geht, fühle ich mich ausgeschlossen oder schäme mich, die anderen könnten mir etwas anmerken.
Nehmen wir an, meine beste Freundin trauert. Wie kann ich sie unterstützen?
Wichtig ist erstmal, authentisch zu bleiben. Alles kann, nichts muss. Möchte meine trauernde Freundin reden, sollte ich signalisieren, dass ich dafür offen bin. Möchte die Freundin eine unbeschwerte Zeit mit mir verbringen, darf sie mit mir zusammen lachen. Auch ratlos zu sein, gehört zur Unterstützung einer trauernden Person dazu: ‚Ich würde dir gerne helfen, aber ich weiß nicht, wie‘. Ehrlich zu sein ist besser als hohle Phrasen zu nutzen wie ‚Kopf hoch‘ oder ‚Die Zeit heilt alle Wunden‘.
Apropos Wunden: Trauern ist richtig und wichtig, aber wie kann ich die Wunden schließen oder mit dem Verlust umgehen?
In unserer Arbeit im Verein erzählen uns die Kinder und Jugendlichen immer, dass ihnen Auszeiten guttun. Das kann der Fußballverein sein, Malen und Zeichnen, aber auch mit Freunden zu reden. Reden kann allgemein unglaublich befreiend sein. Es gibt aber auch introvertierte junge Menschen, für die Reden vielleicht gar nicht so gut klappt, sondern für die eine Auszeit an der Playstation oder das Lesen eines Buches besser funktioniert. Gleichzeitig ist das Umfeld der Person sehr wichtig: Einmal ist ein vierzehnjähriges Mädchen zu mir gekommen und hat gesagt, dass sie seit dem Tod ihres Vaters nicht mehr Fußballspielen geht. Als ich fragte, warum, erzählte sie, dass sich ihre Mannschaft seit dem Tod nicht mehr bei ihr gemeldet hat, und dass sie sich jetzt schämt und allein gelassen fühlt. Als Umfeld dieses Mädchens tragen wir also auch die Verantwortung, den Tod nicht zum Tabu zu machen. Von unseren Familien und der Gesellschaft lernen wir fälschlicherweise, dass ‚man darüber nicht spricht‘ und „dass es auch irgendwann gut sein muss`“. Dabei gibt es in der Trauer weder einen deutlichen Beginn oder ein sichtbares Ende.
Was möchten Sie trauernden Kindern und Jugendlichen noch sagen?
Wichtig ist, dass man sich nicht schämen muss. Auch wenn ich wütend bin oder in der Öffentlichkeit weine, ist das eine ganz normale Trauerreaktion. Manchmal passiert es, dass Kinder sich für den Tod - zum Beispiel eines Elternteils - verantwortlich fühlen. Sie denken, dass der Vater vielleicht nicht gestorben wäre, hätte man sich ihm gegenüber besser verhalten. Den Zeitpunkt eines Tods können wir nicht bestimmen, deswegen sollte niemand so etwas denken. Was ich auch wichtig finde: Der Verlust einer geliebten Person ist immer schmerzhaft. Junge Menschen dürfen aber selbstbewusst wählen, wem sie davon erzählen: „Mit dir rede ich über meine Trauer, mit dir aber nicht“. Zu uns kommen auch Jugendliche, die sich eher damit beschäftigen möchten, wie es nach der Schule weitergeht, oder die mal eine Auszeit von der Trauer zu Hause möchten. Auch das ist erlaubt. Jeder weiß schließlich selbst, was das Beste für ihn ist. Und auch wenn es ein schmerzhafter Trost ist: Kinder und Jugendliche können langfristig meist besser mit dem Tod umgehen, als Erwachsene. Eine Metapher von Astrid Lindgren finde ich hier ganz passend: „Die Trauer der Erwachsenen ist wie das Waten durch einen Fluss. Kinder stolpern in Pfützen der Trauer und springen dann wieder raus.“
Petra Brenner leitet das LÖWENZAHN Zentrum für trauernde Kinder und Jugendliche e.V. in Hannover. Der Verein unterstützt Kinder und Jugendliche zwischen vier und 21 Jahren seit 2009, wenn sie nahe Angehörige verloren haben. Im Verein können sich junge Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind, austauschen. Nicht immer heißt das, über Trauer und Gefühle zu sprechen. Manchmal reicht auch der Austausch über Alltag, Schule oder Netflix.
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Dieser Artikel ist Teil unseres Themenmonats Trauer. Wenn du dich näher mit dem Thema auseinandersetzen möchtest, findest du hier Linktipps zur Artikel-Serie „Mit dem Tod leben" sowie zum Podcast „The End". Außerdem stellen wir zwei Initiativen vor, die trauernde Personen unterstützen und beraten: YoungWings und „Doch etwas bleibt".