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Interview: Impulse einer betroffenen Mutter
„Wir haben uns das Glück unserer Familie nicht nehmen lassen.“
Vor sieben Jahren erlitt Markus Timmermann einen Autounfall. Seitdem pflegt ihn seine Ehefrau Silke, zusammen mit den Söhnen Max (15) und Sebastian (13). Im Interview erzählt Silke Timmermann, welche Unterstützungsangebote ihr geholfen haben und wie sie es schafft, neben Pflege und Erziehung auch Zeit für sich selbst zu finden.
Pausentaste: Frau Timmermann, wie haben Sie Ihre Kinder damals auf die neue Situation vorbereitet?
Silke Timmermann: Ich habe die Kinder von Anfang an mit ins Boot geholt. Als mein Mann in der Klinik war, sind meine beiden Söhne an den Wochenenden regelmäßig mitgekommen und haben immer mit angepackt. So sind sie schon während der Klinikzeit in die bevorstehenden Aufgaben reingewachsen. Aber klar war auch, dass an den Wochenenden nicht viel Zeit für Verabredungen mit Freunden bleibt.
Wie haben sich die Beziehungen und die Rollenverteilung innerhalb Ihrer Familie dadurch verändert?
Am Anfang hatte ich eher Scheuklappen auf und habe nur funktioniert. Erst nach und nach habe ich mich gefragt, ob ich von meinen Kindern nicht zu viel verlange. Von da an habe ich mir Hilfe in einer psychologischen Beratungsstelle gesucht. Dort habe ich den Raum, auch mal wütend sein zu dürfen und alle Sorgen loszuwerden, ohne dass mein Gegenüber mich bewertet. Deshalb ist die Beratungsstelle für mich wie eine kleine Insel.
Auf welche Unterstützungsangebote konnten Sie noch zurückgreifen?
Ich habe auch Hilfe für meine Kinder bei der psychologischen Beratung in Anspruch genommen. Zudem hatten wir das große Glück, eine Reittherapie beginnen zu können. Die Jungs waren nach diesen Reitstunden total entspannt. Wenn Familien die Chance haben, solch eine Therapie in Anspruch zu nehmen, dann kann ich das nur empfehlen.
Ist die Pflegesituation Ihrer Familie ein Thema in der Schule?
Meine Kinder gehen in der Schule damit unterschiedlich um. Der Ältere hat einen sehr offenen Umgang damit, während der Jüngere eher mehr Zeit gebraucht hat, um zum Beispiel auch mal Freunde mit nach Hause zu bringen. In der Schule selber ist das aber weniger ein Thema, was zum Teil auch schade ist. Unsere Situation ist vielleicht etwas verdeckter als andere Krisensituationen in Familien. Von außen gesehen sind bei uns zwar beide Elternteile zu Hause, aber in Wirklichkeit ist ja nur ein Elternteil da. Vielleicht wird das manchmal nicht so sehr wahrgenommen.
Inwiefern hat sich Ihr Elternteildasein dadurch verändert?
Mein Mann und ich, wir sind nicht mehr gemeinsam Eltern, aber er vertraut mir. Ich übernehme damit zwei Rollen. Für mich heißt das, ich muss alle Entscheidungen alleine treffen. Damit fühle ich mich sehr oft einsam. In solchen Situationen helfen dann meine Schwiegereltern, die ich um Rat bitten kann, auch wenn ich am Ende die Konsequenzen alleine tragen muss. Worauf ich aber immer setze, ist die Kommunikation mit meinen Kindern. Auch wenn sie manches nicht sofort verstehen, bleiben wir immer im Gespräch. Ich bin überzeugt davon, dass Kinder einen Lerneffekt haben, wenn sie verstehen, warum bestimmte Regeln gelten oder manches auch Konsequenzen hat.
Haben Sie in dieser Zeit auch etwas von Ihren Kindern gelernt?
Ich habe gelernt, dass ich als Vorbild für meine Kinder nicht fehlerfrei sein muss. Dass es okay ist, aneinanderzurasseln. Am Ende braucht es dann aber auch die Stärke von den Eltern, sich bei ihren Kindern entschuldigen zu können. Das ist sehr wichtig, gerade auch für die Vorbildfunktion. Und das gilt für alle Familien – ob mit oder ohne Pflegefall.
Haben Sie neben der Erziehung Ihrer Kinder und der Pflege Ihres Mannes auch mal Zeit für sich?
Ich habe kaum Zeit für mich, aber meinem Hobby, dem Nähen, gehe ich nach. Die Zeit an der Nähmaschine schaufle ich mir frei und das wird von allen akzeptiert, ohne dass ich das groß thematisieren muss.
Haben Sie die Möglichkeit auch mal Urlaub zu machen?
Einmal im Jahr fahre ich mit den Kindern alleine eine Woche lang weg. In der Zeit lasse ich meinen Mann von meinen Schwiegereltern betreuen. Hier müssen wir nicht gucken, was Papa kann und was er nicht kann. Ohne Rücksichtnahme in den Tag starten zu können, so wie andere Familien auch, das hilft sehr. Diese Unterstützung, die man für so eine Auszeit angeboten bekommt, muss man auch lernen, annehmen zu können.
Was können Sie anderen Menschen, die in ähnlicher Situation sind, mit auf den Weg geben?
Auf ganz praktischer Ebene kann ich den Familienentlastenden Dienst sehr empfehlen. Dort geht mein Mann einmal im Monat mit einer Gruppe kegeln und er macht zwei Mal im Jahr eine Urlaubsreise. Das ist so toll, denn diese Urlaube sind auf meinen Mann zugeschnitten. Da kann er sagen, worauf er Lust hat, ohne auf uns Rücksicht nehmen zu müssen. Auf emotionaler Ebene kann ich den Tipp geben, selbst wenn es manchmal schwerfällt: Es hilft, bei sich zu bleiben und selbstbewusst zu sagen: „Es ist mein Leben und ich bin zufrieden damit. Egal, was andere Leute dazu sagen.“