Somera, seit acht Jahren berätst du bei der Nummer gegen Kummer, immer samstags kann man dich bei „Jugendliche beraten Jugendliche“ von 14-20 Uhr erreichen. Wie hat das damals angefangen?
In der Schule gingen damals Werbeflyer für die Ausbildung beim Kinderschutzbund zum Telefonberater rum. Vorher hatte ich noch nie was von dem Telefon gehört, fand die Idee aber einfach richtig schön. In der Zeit war in der Schule viel passiert: Es gab viel Streit, auch wegen Schulnoten und sowas. Von anderen hatte ich mitbekommen, dass sie sich wünschen würden, sich jemandem anvertrauen zu können. Da dachte ich, die Beratung von Jugendlichen für Jugendliche ist doch eine super Möglichkeit, andere Leute zu unterstützen. Erst habe ich mich aber nicht getraut, mich zu melden. Nachdem meine Mama mich aber bestärkt hatte, habe ich doch beim Kinderschutzbund angerufen. Und seitdem bin ich dabei.
Mit wie vielen Menschen sprichst du an einem Tag?
Das ist ziemlich unterschiedlich. Manche Gespräche gehen ganz schnell. Es gibt aber auch Probleme, die sind nicht in einer halben Stunde ausgesprochen. Wenn wir hören, da hat ein Kind ganz viel Redebedarf, würgen wir das Gespräch ja nicht einfach ab. Dann nehmen wir uns die Zeit. Manche Kinder brauchen länger, um uns sagen zu können, was das Problem überhaupt ist.
Wenn du sagst, dass du mit Kindern sprichst: Wie alt sind deine Anruferinnen und Anrufer in der Regel?
Wir decken am Telefon eine große Altersspanne ab – der jüngste Anrufer, den ich schon hatte, war 9, aber manchmal habe ich auch junge Erwachsene. Deshalb sind wir jugendlichen Beraterinnen und Berater auch alle unterschiedlich alt und dadurch manchmal näher an ihrer Lebenswelt dran als Erwachsene. Die Anruferinnen und Anrufer hören, wie Gleichaltrige die Situation einstufen würden, wie sie sie empfinden, was sie raten.
Warum entscheiden sie sich dazu, die Nummer gegen Kummer zu wählen?
Der Punkt ist, dass wir hier anonym sind. Wer mit uns spricht, hat keine Konsequenzen zu befürchten. Wir beraten ohne Bewertung oder hören einfach nur zu. Denn es ist nicht so, wie wenn man seinem Lehrer oder seiner Lehrerin etwas anvertraut – sie müssen dann handeln. Und einem Lehrer oder einer Lehrerin kann man auch auf der Straße begegnen. Uns nicht. Wir sind weit genug weg und wissen ja auch letztendlich nicht, wer da bei uns anruft. Es ist ja alles anonym. Wir wissen nicht, wie die Personen heißen oder wo sie wohnen.
Hattest du schon Kinder oder Jugendliche im Gespräch, die in die Pflege ihrer Eltern oder Angehörigen eingebunden sind?
Ja, schon viele. Mir geht das persönlich ziemlich nah, wenn ich höre, dass es Kindern einfach in der Familie schlecht geht, dass sie Druck haben, dass sie zu viel Verantwortung tragen. Dass sie sich um jemanden kümmern müssen, dem sie nahestehen. Dass ihnen das einfach weh tut, dass es denen schlecht geht, die sie pflegen. Aber ich finde es super, dass sie sich bei uns melden, dass sie sich endlich jemandem anvertrauen. Sie stehen im Alltag oft alleine da, mit sehr viel Verantwortung. Und sie wissen nicht, wohin mit ihren Sorgen. Da bietet die „Nummer gegen Kummer“ eine super Möglichkeit. Sie müssen nicht das Gefühl haben, dass wir eine Instanz einschalten müssen oder dass sie irgendwen verraten haben. Sondern wir hören ihnen einfach zu. Wir fragen, wie sie sich fühlen, was sie glauben, wie es weitergehen kann für sie. Und dann gucken wir, dass sie selber eine gute Lösungsmöglichkeit finden können. Sie müssen wissen, dass wir gern für sie da sind. Dass wir ihnen gerne zuhören und sie ernstnehmen. Dass sie nicht alleine sind. Und dass Reden hilft. Und dass sie uns nicht belasten, wenn sie uns anrufen. Sie denken oft, dass sie zur Belastung werden, wenn sie sich anderen anvertrauen. Aber wenn wenn uns ein Gespräch doch mal nahe ging, finden wir Halt im Team. Außerdem haben wir einen Hintergrunddienst, den wir telefonisch oder auch vor Ort erreichen können, wenn wir merken, dass ein Gespräch ein bisschen viel für uns war.
Das ist ja gerade sehr wichtig, zu wissen, dass man die Personen am anderen Ende der Leitung nicht belastet. Dass sie gut geschult sind und damit umgehen können.
Genau. Wir sind gut aufgestellt, deshalb können wir den Kindern und Jugendlichen auch so gut zur Seite stehen, wenn es ihnen nicht gut geht. Sie brauchen eben genau kein schlechtes Gewissen haben, uns ihre belastende Situation zu erzählen. Denn genau dafür sind wir ja da.
Hast du das Gefühl, dass du etwas bewegen konntest im Leben der Anruferinnen und Anrufer?
Ja, auf jeden Fall! Am Ende mancher Telefonate bekommen wir zu hören:
„Danke, ich wäre von allein gar nicht draufgekommen und ich hab jetzt dies und das als Nächstes vor.“
Wenn sie dann selber auf die Lösung gekommen sind, den für sie besten Weg damit beschreiten können – das finde ich total schön. Wir haben auch Leute, die einfach nochmal anrufen, um Danke zu sagen, dass wir ihnen zugehört haben. Sie erzählen dann, dass sie es geschafft haben und sie berichten, wie es weiter gegangen ist. Unter anderem deshalb macht mir die Arbeit so großen Spaß: Ich find es super interessant, junge Menschen dabei zu unterstützen, selbst eine Lösung zu finden. Wir zwängen ja nichts auf so nach dem Motto
„Hey, du musst das und das machen, dann wird das wieder gut“
, sondern wir gucken: Was können wir sagen, damit sie selbst auf eine Idee kommen.
Wie genau macht ihr das – woher nimmst du deine Ratschläge?
Ich beziehe sie aus meinem Alltag. Wenn mir eine Jugendliche sagt, was sie gerade belastet, dann schaue ich, wie war das denn bei mir? Dafür sind wir ja samstags auch da, dass wir die Sicht von Jugendlichen haben. Und dann sag ich, wie ich mich in einer solchen Situation fühlen würde, und dass diese Gefühle ganz normal und verständlich sind. Und natürlich auch aus der Ausbildung, die wir gemacht haben. Da haben wir gelernt, richtig zu fragen: zum Beispiel: Wie geht es dir in der Situation? Wie fühlst du dich? Was hast du schon alles ausprobiert und was brauchst du, damit es besser wird? Damit wollen wir sie aus dem negativen Denken rausholen und uns zusammen eine Lösung erarbeiten, die für die Anruferinnen und Anrufer gut und umsetzbar ist. Manchmal braucht es auch einfach nur jemanden, der richtig zuhört, wenn man sich unverstanden fühlt. Und dann wird mir wirklich sehr, sehr viel Vertrauen entgegengebracht. Ich glaube, das wäre nicht so, wenn die Person mir gegenübersitzen würde. Das würde zu viel Überwindung kosten. Das erste Mal etwas wirklich Schlimmes aussprechen, fällt allen wirklich schwer. Und dann ist das hier einfach eine gute Möglichkeit – einfach zu wissen: Wenn ich ein offenes Ohr brauche, ist da jemand.
Vielen Dank für das Gespräch!
Wenn auch ihr ein offenes Ohr braucht, erreicht ihr Somera und die anderen Jugendberaterinnen und -berater der Nummer gegen Kummer immer samstags zwischen 14 und 20 Uhr unter 116 111 – anonym und kostenlos.