Viereinhalb Jahre hat sich Hannah gemeinsam mit ihren Eltern und Schwestern um ihren dementen Opa gekümmert. Sie war gerade 14, als die Krankheit bei ihm ausgebrochen ist.
„Als wir die Diagnose Demenz erhielten, war für mich sofort klar, ich bleibe bei meinem Opa und gehe den Weg mit ihm. Ich wusste, dass Demenz eine Scheißkrankheit ist, dass mein Großvater irgendwann nicht mehr weiß, wer ich bin und dass keiner weiß, wie lange er noch hat. Aber ich wollte dieser Krankheit so viele schöne Stunden und Tage wie möglich abtrotzen.“
Hannahs Opa interessierte schon immer für Sport, löste gerne Kreuzworträtsel, ging kegeln und spielte stundenlang Mensch ärgere dich nicht mit seinen Enkelinnen. Auch mit Demenz tat er vieles davon weiterhin – gemeinsam mit Hannah. Sein Hobby, Sport und Krimis anzuschauen, wurde so auch zu ihrem.
„Meine Aufgabe war es, da zu sein. Mein Opa war nicht mehr gern allein. Deswegen konnte ich meine Eltern entlasten, wenn ich Zeit mit ihm verbracht habe, wir spazieren gingen oder uns einfach unterhalten haben. Und ich musste aufpassen, dass er nicht weglief.“
Was genau in der Begleitung zu tun ist, wusste sie selten. Von ihren Eltern und ihren Schwestern erhielt sie zwar Tipps, ansonsten aber war alles eher ‚learning by doing‘:
„Mein Opa hat immer sehr klar gemacht, wenn er irgendwas nicht mochte, und dann habe ich mir eine Alternative überlegt.“
Hilfe von außen gab es nicht. Das lehnte ihr Großvater ab.
Zeit für Schule und Freunde
Heute ist Hannah 23 Jahre alt und studiert im Master in Berlin. Die Schule hat sie trotz der Pflege gemeistert – mit viel Planung und Durchhaltevermögen:
„Ich habe am Anfang eines jeden Schulhalbjahrs meinen Stundenplan genommen und eingeteilt, in welcher Pause ich welche Hausaufgaben erledigen muss, um sie pünktlich zu haben. Dadurch war mit Schulschluss auch wirklich Feierabend. Für Vokabeltests und Klassenarbeiten habe ich auch in den Pausen gelernt – oder gar nicht.“
Ihr Klassenlehrer wusste zwar Bescheid, war ihr aber keine Hilfe. Ganz anders ihre Freunde.
„Sie haben mich super unterstützt. Etwa in der Schule, indem sie mit mir Hausaufgaben gemacht haben.“
Und eines hatten sie alle gemeinsam: Sie brachten sie zum Lachen, halfen ihr, abzuschalten und hatten immer ein offenes Ohr.
„Vor allem mein bester Freund hatte immer Verständnis dafür, dass Treffen nicht spontan sein konnten und ich abends keine Zeit hatte – das ist nicht selbstverständlich in dem Alter.“
Ihre Freunde ermöglichten auch, dass Hannah Auszeiten nehmen konnte. In den Ferien fuhr sie immer für ein paar Tage zu ihrer besten Freundin.
„Ein schlechtes Gewissen hatte ich nicht, weil ich ja wusste, dass meine Eltern sich um meinen Opa kümmern. Außerdem konnte ich Energie tanken und wieder besser für ihn da sein.“
Dennoch gab es auch Sorgen und Ängste. Vor allem stand der Gedanke an ihren Opa im Vordergrund:
„Ich bin morgens mit dem Ziel aufgestanden, ihm einen schönen Tag zu bereiten, und abends zufrieden ins Bett gegangen, wenn das gelang. Aber natürlich war die Angst, dass er stirbt, ständiger Begleiter.“
Darüber konnte sie mit ihren Eltern sprechen, hat dies aber oft nicht getan, um sie nicht noch mehr zu belasten. Stattdessen sprach sie mit ihren Freunden und den Pfarrern ihrer Kirchengemeinde.
„Schon das Erzählen hat geholfen. Und dass sie akzeptiert und wertgeschätzt haben, dass ich mich mit um meinen Großvater kümmere.“
Was bis heute bleibt
So wurde Hannah sehr schnell erwachsen und interessierte sich zum Beispiel nicht sonderlich für Dinge wie die gerade angesagte Band.
„Bis heute fühle ich mich im Vergleich zu Gleichaltrigen ernster und erwachsener. Außerdem habe ich die Entwicklung von 14 bis 19 Jahren nicht wirklich mitbekommen. Die Sprache und die Smalltalks sind für mich bis heute manchmal Neuland.“
Gleichzeitig hat sie viel Positives aus der Pflegeerfahrung mitgenommen.
„Mein Opa hat mir die Freude an kleinen Dingen wie einem Lächeln gezeigt. Außerdem bin ich pragmatischer und kreativer geworden. ‚Geht nicht‘ gibt’s für mich nicht. Geht der eine Weg nicht, nimmt man halt einen anderen.“
Auch dankbarer ist sie geworden – wie für die vielen schönen Erinnerungen und lustigen Stunden mit ihrem Opa.
„Mein Großvater war ein sehr humorvoller Mensch, der mich oft zum Lachen gebracht hat. Eine Situation werde ich nie vergessen – da war er schon im Altenheim. Ich musste mit der Straßenbahn dorthin fahren. Eines Abends ist sie ausgefallen und da ich nicht nach Hause fahren konnte, ging ich wieder zurück zu meinen Opa. Er lag schon im Bett. Als ich an sein Bett trat, richtete er sich halb auf, griff meine Hand und meinte: ‚Schön, dass du da bist.‘ Ich: ‚Ja, die Straßenbahn fährt nicht und deshalb kann ich nicht nach Hause.‘ Daraufhin grinste er schelmisch, legte sich zurück mit den Worten ‚Pech für dich, aber Glück für mich‘, und schloss schmunzelnd die Augen.“
Diese Tipps hat Hannah für euch:
- Haltet Augenblicke mit der Kamera fest und schreibt schöne Erlebnisse auf. Es sind wertvolle Erinnerungen für später.
- Sucht euch Erwachsene, denen ihr vertraut und die euch zuhören. Sie können auf mehr Erfahrungen zurückgreifen und ich hatte das Gefühl, dass sie stabiler sind und ich sie somit nicht überlaste, anders als bei Gleichaltrigen.
- Ihr dürft Wut, Angst und andere negative Gefühle haben. Sucht euch einen Raum, in dem ihr sie rauslassen könnt.